Kapitalanlage: Das kurze Gedächtnis der Finanzmärkte

Oberflächlich betrachtet scheinen sich die Finanzmärkte in den letzten Monaten beruhigt zu haben. Doch im Hintergrund existieren nach wie vor massive Verzerrungen. Joerg Lamberty, geschäftsführender Gesellschafter des VAA- Kooperationspartners FVP Gesellschaft für Finanz- und Vermögensplanung, analysiert für den VAA Newsletter die derzeitige Situation.

„Finanzkrisen sind schnell vergessen. Deshalb können sie sich unter ähnlichen Umständen – oft nur wenige Jahre später – erneut ereignen. […] Es gibt nur wenige Gebiete des menschlichen Handelns, in denen die Lehren der Geschichte derart wenig Beachtung finden, wie in der Finanzwelt.“
(J. K. Galbraith, A Short History of Financial Euphoria)

Eine kleine Schar von langfristig äußerst erfolgreichen Fondsmanagern befürchtet, dass sich die globalen Finanzmärkte derzeit in einer ähnlich gefährlichen Situation befinden wie in den Jahren 2000 und 2007. Deshalb geht für sie momentan Vermögenserhalt vor Renditemaximierung. Ihre Depots sind teilweise abgesichert und weisen eine deutlich höhere Liquiditätsquote auf, als dies üblicherweise der Fall ist. Da diese Absicherung Geld kostet, sind die Ergebnisse ihrer Anlagen in der letzten Zeit auch eher mager. Doch was treibt diese Fondsmanager um?

Enorme Verzerrungen

Sie befürchten eine plötzliche und heftige Korrektur der enormen Verzerrungen an den Finanzmärkten. Diese sind in zweierlei Hinsicht durch das massive Eingreifen der Staaten und Notbanken als Antwort auf den drohenden Kollaps im Jahr 2008 entstanden. Zum einen befinden sich die Unternehmensgewinne, die als Folge der staatlichen Maßnahmenpakete und der niedrigen Zinsen bei relativ moderaten Lohnsteigerungen aktuell circa 70 Prozent über ihrem langfristigen Durchschnitt liegen, nicht auf einem nachhaltigen Niveau. Ein früher oder später zu erwartender Rückgang auf historische Durchschnittswerte könnte mit entsprechend scharfen Korrekturen an den Aktienmärkten einhergehen.

Zum anderen haben die Notenbanken die Kurse von Anleihen und Aktien durch massive Markteingriffe künstlich nach oben getrieben. Dabei verfolgten sie unterschiedliche Ziele. Während die Politik der US- Notenbank darauf abzielte, dass sich die Menschen aufgrund der gestiegenen Preise der in ihrem Besitz befindlichen Wertpapiere reicher fühlen und deshalb mehr konsumieren, griff die EZB massiv in die Märkte ein, um die Kreditzinsen in den südeuropäischen Krisenländern zu senken und dadurch ein Auseinanderbrechen der Eurozone zu verhindern. Diese Maßnahmen lassen sich jedoch nicht unendlich fortsetzen, sodass sich der Moment der Wahrheit unweigerlich nähert. Da die Finanzmärkte zukünftige Ereignisse bereits eine ganze Weile vor ihrem tatsächlichen Eintritt bei der Preisbildung berücksichtigen, könnte eine scharfe Korrektur deutlich schneller eintreten, als von der Mehrheit der Marktteilnehmer erwartet wird.

Trügerische Sicherheit

Die Notenbanken haben in der Vergangenheit wiederholt bei den ersten Anzeichen von Stress schützend eingegriffen. Deshalb wiegen sich viele Marktteilnehmer inzwischen in trügerischer Sicherheit. Sie sind der Meinung, dass das Verlustrisiko aufgrund dieser Politik relativ gering ist oder glauben, dass die Kurse so lange weiter steigen, bis von den Notenbanken ein zwar vage definiertes, aber vermutlich rechtzeitig erkennbares „Ausstiegssignal“ gegeben wird. Die Mehrheit der Marktteilnehmer scheint davon auszugehen, dass es ihr genau zu diesem Zeitpunkt gelingen wird, ihre Wertpapierbestände zum Höchstpreis an einen anderen Markteilnehmer zu verkaufen („greater fool theory“).

Depotrisiko überprüfen

Ein gesundes Maß an Skepsis scheint hier angebracht. Zumindest erkennen die eingangs erwähnten Fondsmanager in dem derzeitigen Glauben an die schützende Hand der Notenbanken gewisse Parallelen zu dem Glauben an das unbegrenzte Wachstum von Internetunternehmen im Jahr 2000 oder an die permanenten Preissteigerungen von amerikanischen Immobilien im Jahr 2007. Auch wenn nicht auszuschließen ist, dass in den nächsten Monaten noch einmal neue Höchststände an den Aktienmärkten getestet werden, sollten vorausschauende Anleger ihr Depot möglichst bald auf eventuell vorhandene Risiken hin überprüfen und – falls nötig – so anpassen, dass sie auch bei deutlichen Rückschlägen an den Aktienmärkten weiterhin ruhig schlafen können.