Expertenprognosen: mutig, selbstsicher und meistens falsch

Alle Jahre wieder: Zum Jahreswechsel gibt es in den Medien eine Vielzahl von Expertenprognosen darüber, was die Zukunft bringen wird. Prognosen über die künftige Entwicklung an den Finanzmärkten sind dabei besonders beliebt. Obwohl sich die meisten Experten in ihren Fachgebieten sehr gut auskennen, führt das regelmäßig nicht dazu, dass sie zukünftige Ereignisse zuverlässig vorhersagen können. Joerg Lamberty von der FVP Gesellschaft für Finanz- und Vermögensplanung zeigt in seinem Gastbeitrag für den VAA Newsletter auf, dass der Grad der Anlegerakzeptanz von Finanzmarktprognosen tendenziell Auswirkungen auf ihre Anlagestrategie hat.

Der Neurologe und Investmentstratege William J. Bernstein hat beobachtet, dass es drei Arten von Finanzexperten gibt: Erstens diejenigen, die nicht wissen, dass sie zukünftige Marktentwicklungen nicht vorhersagen können. Zweitens diejenigen, die es wissen. Und drittens diejenigen, die es wissen, deren Job aber davon abhängt, so zu tun, als ob sie es könnten. Den meisten Anlegern ist bewusst, dass niemand die Zukunft zuverlässig vorhersagen kann. Deshalb glauben sie nicht an Kristallkugeln und Wahrsagerei. Trotzdem erwecken gerade die zu Jahresbeginn besonders beliebten Börsenprognosen jeweils erneut ihre Aufmerksamkeit. Das ist verständlich, weil die zutreffende Prognose einer abrupten Veränderung an den Finanzmärkten sehr wertvoll sein kann. Zudem hat es in der Vergangenheit immer wieder den einen oder anderen Experten gegeben, der mit seiner Prognose richtig lag und damit hohe Gewinne einfahren konnte. Allerdings spricht die fehlende Treffsicherheit dieser Experten bei ihren späteren Prognosen dafür, dass der vorherige Treffer eher dem Glück als dem Können zuzuschreiben ist.

Prognosegläubigkeit beeinflusst Anlagestrategie

Nach dem erfolgreichen Fondsmanager und Buchautor Howard Marks hat die Frage, ob ein Anleger daran glaubt, dass Finanzmarktprognosen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreffen und deshalb nützlich sind, einen bedeutenden Einfluss auf die von ihm verfolgte Anlagestrategie. Anleger, die an Finanzmarktprognosen glauben, sind tendenziell eher bereit, auf steigende Aktienkurse (long only) zu setzen und ein konzentriertes Portfolio aus einer geringen Zahl einzelner Aktien oder Fonds zu halten. Sie investieren lieber in Technologie- und Wachstumswerte als in defensive Titel oder Fonds. Dagegen favorisieren Anleger, die nicht an eine hohe Trefferquote von Prognosen über die zukünftige Entwicklung der Finanzmärkte glauben, tendenziell eher eine breite Streuung über mehrere Anlageklassen, Währungen und Regionen und vermeiden Klumpenrisiken. Zudem berücksichtigen sie Absicherungsstrategien (long short / marktneutral) und halten bei der Aktien- oder Fondsauswahl eine günstige Bewertung für wichtiger als potentielles Wachstum in der Zukunft.

Die erste Strategie brachte in den Jahren der jeweiligen Aufwärtsphase bis zu den Marktkorrekturen in den Jahren 1961, 1973, 1987, 2000 und 2007 tendenziell bessere Ergebnisse. Je länger die Aufwärtsphasen andauerten, desto stärker wuchs das Vertrauen in die verkaufsmotivierten Finanzmarktprognosen der Finanzindustrie. Dagegen waren Anleger mit der zweiten Strategie besser vorbereitet, als es zu einem plötzlichen Trendwechsel und Crash kam. Sie hatten nach dem Börsencrash geringere Verluste und deswegen mehr Kapital zur Verfügung, um langfristig von Käufen zu den dann niedrigen Kursen zu profitieren.

Einfluss von Prognosen hinterfragen

Zu Beginn des Jahres – also der „Hochsaison der Finanzmarktprognosen“ – sollten wir als Anleger noch einmal genau hinterfragen, welchen Einfluss eigene oder fremde Prognosen über die zukünftige Entwicklung an den Finanzmärkten auf unsere Anlagestrategie haben. Denn einerseits ergibt eine defensive Strategie keinen Sinn, wenn wir davon ausgehen, dass eine bestimmte Prognose über die Entwicklung an den Finanzmärkten mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten wird. In diesem Fall wären Absicherungsstrategien und eine breite Streuung unnötig. Wenn wir aber davon ausgehen, dass wir nicht wissen, was die Zukunft bringt, wäre es fahrlässig, mit einer entsprechenden Anlagestrategie so zu tun, als ob wir es wüssten. Als warnendes Beispiel sei hier die Aufwärtsphase der Jahre 2004 bis 2007 vor dem letzten großen Crash in Erinnerung gerufen, als viele Anleger die Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit der Ereignisse überschätzt und die vorhandenen Risiken unterschätzt haben.